Auf den Spuren der Kleinbahn Farge – Wulsdorf und der ehemaligen BSAG-Linie 99.

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Ingo Teschke
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Auf den Spuren der Kleinbahn Farge – Wulsdorf und der ehemaligen BSAG-Linie 99.

Ungelesener Beitrag von Ingo Teschke » 23. August 2020 22:41

Hallo,

eine sonntägliche Radtour führte mich heute auf die Strecke der Kleinbahn Farge – Wulsdorf. Die normalspurige Kleinbahn wurde 1911 eröffnet. Sie litt von Anfang an unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten, war doch damals (und ist auch noch heute) die Besiedlung dort äußerst dünn. Bereits 1938, also nur 27 Jahre nach Eröffnung, wurde der Abschnitt Farge-Ost – Sandstedt komplett stillgelegt und abgebaut. Auf der gesamten Strecke Farge – Wulsdorf wurde der Personenverkehr durch einen Omnibus abgewickelt. 1943 wurde der Bus kriegsbedingt beschlagnahmt, so dass der Personenverkehr im Abschnitt Wulsdorf – Sandstedt wieder aufgenommen wurde. Dort hielt er sich immerhin bis 1964. Weitere Infos können bei Wikipedia nachgelesen werden. Relikte der ehemaligen Kleinbahn sind nur noch sehr wenige vorhanden – kein Wunder 82. bzw. 56 Jahre nach der Einstellung. Auch die Trasse lässt sich teilweise nur erahnen.

Die BSAG führte in der Folge zunächst mit einer Linie 49, später mit der Linie 99 von Neuenkirchen über Rade, Aschwarden nach Wurthfleth den Verkehr durch. Dort galt nicht der normale BSAG-Tarif, sondern ein spezieller Tarif für die Linie 99, die ja nur auf niedersächsischem Gebiet verkehrte. Die Linie wurde am 28.05.1994 eingestellt. Das Fahrplanangebot war praktisch immer unverändert. Hier der Fahrplan aus dem Winter 1983/84:
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Angesichts der geringen Bevölkerungsdichte waren das paradiesische Zustände, selbst sonntags gab es Verbindungen! Heute fahren hier nur Schulbuslinien.

Persönlich gehörte es für mich praktisch zum Pflichtprogramm, einmal im Jahr mit der 99 zu fahren (so Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre). «Meine» Fahrt war immer die um 16.12 ab Neuenkirchen. Dass der Bus nicht zur «Taktminute 10» abfuhr, hing damit zusammen, dass er zuvor als Linie 70E im Arbeiterverkehr des Bremer Vulkan eingesetzt wurde (Vulkan ab 15.45 Uhr). Anfangs kamen MAN-Metrobusse zum Einsatz, später MAN-Standardbusse.
Hier zwei Bilder der Linie 99: Am 31.12.1988 passiert der BSAG-Bus 21 die Haltestelle Stellerbruch auf dem Weg nach Neuenkirchen. Am Stellerbruch gibt es nur ein Wohnhaus, aber eine passende Haltestelle mit Wartehäuschen dazu. Das Bild zeigt die typische Landschaft der Niederweserregion.
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Die letzte Fahrt am 28.05.1994 machte der Bus 4025, hier in der Schleife Wurthfleth.
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Die Schleife gibt es heute nicht mehr, es ist eine «normale» Busbucht entstanden. Vor ca. 12 Jahren war die Schleife noch vorhanden inkl. des BSAG-Haltestellenschildes.
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Die Kleinbahn Farge – Wulsdorf kreuzte die Landstraße zwischen Aschwarden und Wurthfleth genau in der Mitte und hatte dort einen Bahnhof für die beiden Gemeinden. Die abzweigende Straße heisst dort «Bahnhof». Nun wurde innerhalb der letzten 10 Jahre dort eine Bedarfshaltestelle in einer Seitenstraße eingerichtet – ich vermute, dass die Schulbusse dort evtl. ihre Abfahrtszeit abwarten.
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Schaut man sich das Haltestellenschild genauer an, erkannt man, dass die Haltestelle tatsächlich den Namen «Wurthfleth Bahnhof» erhalten hat. Ich bin beeindruckt, 82 Jahre nach Einstellung der Eisenbahn eine Haltestelle neu «Bahnhof» zu nennen.
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Am Betriebsmittelpunkt und späteren Endpunkt Sandstedt befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs ein Busdepot der Firma Giese. Die Straße heisst übrigens «Am Bahndamm».
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Auch im weiteren Verlauf – immerhin «nur» 56 Jahre nach Einstellung, waren kaum Relikte erkennbar – vielleicht auch, weil kurzzeitiger kräftiger Regen die Sicht einschränkte. Aber weitergeradelt – nach dem Motto «Das meiste fällt vorbei» - wurde schließlich Bremerhaven erreicht. An der ehemaligen Bus- (und früheren Straßenbahn-)Endstelle Wulsdorf, Deichhämme befand sich der Haltepunkt «Wulsdorf Hp». Die Trasse ist rechts im Bild gut erkennbar:
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Hier beginnt dann auch der «Kleinbahnweg», der heute ein Radweg Richtung Wulsdorfer Bahnhof ist.
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… unterwegs sogar ein Kilometerstein (ob Original, weiss ich nicht)
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… und der Kleinbahnweg endet dann direkt vor dem heutigen Werkstattgelände der Nordwestbahn:
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Ich hoffe, der kleine Ausflug zur Kleinbahn Farge – Wulsdorf und zur Linie 99 hat gefallen.

Gruß
Ingo

ChristophN
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Re: Auf den Spuren der Kleinbahn Farge – Wulsdorf und der ehemaligen BSAG-Linie 99.

Ungelesener Beitrag von ChristophN » 23. August 2020 23:50

Danke für diesen spannenden Bericht!
Wie war denn die 99 eigentlich umlaufmäßig eingebunden? Wurde für die einzelnen Fahrten extra aus- und eingerückt, oder gab es - von der von dir erwähnten 70E abgesehen - irgendwelche Verknüpfungen mit anderen Linien?

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Ingo Teschke
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Umlaufverknüpfung Linie 99

Ungelesener Beitrag von Ingo Teschke » 24. August 2020 08:50

Hallo Christoph,

bezüglich Umlaufverknüpfung habe ich keine gesicherten Informationen vorliegen. Meines Wissens wurde jedes Mal ein- und ausgerückt, wobei am Sonnabend Mittag der selbe Bus beide Touren machte. Und montags-freitags morgens fuhr der erste Bus wohl als Arbeiterverkehr zum Vulkan, so dass für die zweite Runde ebenfalls ein anderer Wagen ausrückte. In der Nähe gab es ja auch nicht viel zum Umlaufverknüpfen, und die nach Neuenkirchen verkehrenden Linien 70/71 fuhren immer mit Gelenkbussen.

In den letzten Jahren kam auf der Linie 99 fast immer der Bus 4025 mit seiner Hot-Line-Reklame zum Einsatz. Der Wagen war in den Nächsten Fr/Sa und Sa/So immer auf dem BSAG-Hot-Line-Kurs im Einsatz gewesen. Nach seinen Einsätzen auf der 99 wechselte er dorthin, allerdings meines Wissens mit einem Zwischenstopp im Betriebshof Blumenthal, also keine "echte" Umlaufverknüpfung.

Ingo

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